ZUM BUCHEN EICHMÜLLER/FELBER Ich komme zum Ende. Wir kommen nicht drum herum, tun aber bis zuletzt so, als sei da nichts. Und doch ist da das Ende. Wer gerade den baldigen Ver- lust eines nahestehenden Menschen erlebt, sollte von diesem Buch vorläufig lassen. Es ist zu spät. Das Thema braucht seine Zeit. Die muss man haben. Nehmen kann man sie sich angesichts des Sterbenden nun nicht mehr. Aber danach! Quasi für das nächste Mal: Anregungen für einen leichteren Um- gang mit der Endlichkeit. Das Buch liest sich leicht. Wenig Text, weil präziser Text nicht lang ist. Praktisch auch noch, schier wie eine Betriebsanleitung, ok, sagen wir wie ein Rei- seführer. Und die vielen bekannten Fragen: Erstickt man da? Und was ist dieses Ras- seln, und der Schaum vor dem Mund, und Morphin verkürzt doch das Leben? (Nein, tut es nicht.) Kann man das planen? Und wie machen die das anderswo? Und warum gehe ich an eine Beerdigung? Tod und Endlich- keit zu ignorieren, meint Ko-Autorin Felber, «löst so viel unnötigen Schmerz aus.» Also ran an das Thema – und das nicht, weil grad November ist. gk PALLA Weitere folgen. Ob es tatsächlich keine Landsknechte mehr gibt, darf bezweifelt werden. Man müsste die Schweizer fragen, die kannten sich da früher noch recht gut aus. Aber mit den Abdeckern ist es tatsächlich vorbei, den Briefmalern, Fassziehern, Fratschlerinnen, Kalfaterern, Kastrierern, Posamentierern, den Salinis- ten und Lichtputzern. Die alle gibt es nicht mehr. Noch und noch eine lange Weile gibt es zwar die Drahtzieher, die Hofnarren, die Nachtwächter und die Rosstäuscher – aber nicht mehr wie ehedem als eigenen Beruf. Rudi Palla hat in seinem Lexikon Berufe und Arbeitsfelder zusammengestellt, die zwei, drei Generationen vor uns den Älteren im Sitzkreis noch geläufig wie Nachbars Lumpi waren. Was einfach daherkommt, auf jeweils einer halben bis wenigen Seiten für Laternen- träger, Lavendelweiber, Lebzelter und Lede- rer ist das Ergebnis aufwendiger Recherche und einer literarisch anspruchsvollen Latte. Ein Fundus an Details, Amüsantes, Anekdo- tisches und immer wieder kurios. Es kommt nichts Verklärendes auf, nichts von den guten alten Zeiten, vielmehr Einblick in soziale Ni- schen mit ihren Überlebenskämpfen und da und dort eigenen kulturellen Identität, mit ihren eigenen Kleidern, Tänzen, Lachern, Liedern. Bleibt noch zu raten, welche der derzeit so hochspezialisierten Berufe eine Nachfahrin von Palla in einem Nachfolge- band als verschwundene wieder ans Licht holen wird. gk HASLER Regiert wird von unten nach oben. Zugegeben, auch ein bisschen von oben nach unten. Seit dem Darm-mit-Charme von Giu- lia Enders kann man ungeniert über ihn und sein Wirken reden. Für Gregor Hasler, Psy- chiatrieprofessor an der Uni Fribourg, ist er, der mehrere Meter lange Schlauch, gar ein Sinnesorgan, und zwar ein sträflich unter- schätztes. Bulimie sei nichts anderes als die Folge einer Entzündung im Darm mit einem Angriff auf das Gehirn. Depressiv? Nimm halt Kastanien, Nüsse, Olivenöl. Und doch: Hasler liefert einen brauchbaren Überblick über den Forschungsstand und zeigt auch auf, wo dieser noch lückenhaft ist, was erst in Tierversuchen durchgeführt wurde und was alles fehlgeschlagen ist an Versuchen, Experimenten, Hypothesen. Was das Buch seriös bleiben lässt, sind die Experten, die Hasler beim Verfassen einzelner Kapitel bei- gezogen hat. Die wissenschaftlichen Zusam- menhänge werden gekonnt verwoben mit anschaulichen individuellen Fallschilderun- gen, was vor allem den Unruhigen im Sitz- kreis entgegenkommt. Damit das mit dem Regieren auch klappt, braucht es ja einen Briefträger zwischen unten und oben, den Vagusnerv. Hasler schildert, wie sich dieser ausreift, wie Darm- und Hirnnerven, neuro- nale Botenstoffe, Immunzellen, Hormone zu Krankheiten von MS bis Parkinson beitragen können. Fazit: informativ und leicht verdau- lich. gk Steffen Eychmüller/ Sibylle Felber: Das Lebensende und ich – Anregungen für einen leichteren Umgang mit der Endlichkeit, Bern 2022, Stämpfli Ver- lag, ISBN 978-3- 7272-6096-4, ab ca. CHF 25.00 Rudi Palla: Die Welt der ver- schwundenen Beru- fe, Berlin 2018, In- sel Verlag, ISBN 978-3-458-36344- 6, ca. CHF 20.00 Gregor Hasler: Die Darm-Hirn Connection, Stutt- gart 2020, Klett- Cotta, ISBN 978- 3-608-98384-5, ca. CHF 25.00 34 LEU 02/2022