JÄNCKE Schmelzender Frontalkortex. In einem Satz: Unser Hirn ist evolutionsbio- logisch nicht fürs Internet geschaffen und wird es nie werden. Das wäre ja weiter nicht von Belang, wenn das irgendein Lutz sagen würde oder irgendein Jäncke. Nachdem es sich bei unserem Autor aber um den welt- weit anerkannten Neuropsychologen der Universität Zürich handelt, darf man schon aufmerksam nachlesen. Kurz und grob: Unser Gehirn besteht aus «alten» Struktu- ren und aus evolutionär viel später «neu» entstandenen Bereichen. Die «alten» sorgen für die Emotionen, die «neueren», zum Bei- spiel das sogenannte Stirnhirn, kontrollieren diese emotionalen Impulse, hemmen sie; die «alten» und die «neuen» könne man sich vorstellen wie zwei hin und her wogende, sich in Schach haltende Kontrahenten; ein ewiges Ringen um Disziplin, Aufschub von Belohnung, Frustrationstoleranz und Im- pulsbefriedigung, die Sache mit dem wil- ligen Geist und dem schwachen Fleisch. Im Internet mit seinem Klick&Scroll, dem Surfmechanismus, hätten die alten Struk- turen eine unbezwingbare Übermacht. Die neueren, die Kontrollinstanzen, verlören im- mer mehr an Macht. Besonders bedenklich sei dies bei Teenagern, deren Hirn sich noch entwickle, süchtig nach immer stärkeren Reizen, gleichzeitig abstumpfend. Jäncke plädiert deshalb dafür, Selbstdisziplin im Umgang mit dem Internet explizit zu üben. Sehr lesbar und sehr lesenswert. gk KINER/LINK Pech gehabt. Warum dreimal Zürich, dreimal Lausanne, dreimal Basel, dreimal Bern und zweimal Genf? Na gut, weil man es dreimal jeweils anders sehen kann, und Genf halt nur zwei- mal, und immerhin hat es noch für Luzern gereicht, für St. Gallen, La Chaux-de-Fonds, Freiburg, Neuenburg, Sitten, Locarno, Ve- vey. Aber kein Chur? Bitte, wo ist Chur? Na gut, vielleicht wollte Chur nicht – mangels Subventionierung. Aber wo ist Winti? Per- fekte Tage Schweiz und kein Winti. Bellin- zona? Biel? Solothurn? Kein Frauenfeld mit keinem Zäpfchen-R. Kein Zug, kein Sitten, kein Olten. Zugegeben, es geht auch ohne Payerne (eine Stadt), Delsberg (eine Stadt), Martigny (eine Stadt), Monthey (eine Stadt) – und klar, es können nicht alle dabei sein. Die Auswahl erschliesst sich mir nicht, lässt aber via Vorwort eine Vermutung zu: Zufall auf der Basis von «Ich-kenn-da-eine-in-…». Und Fotos hat es auch. Blöd nur, diese Fotos habe ich alle schon gesehen, weil selber ge- macht. Und dass ich noch nie in Vevey war, hinderte mich auch nicht daran, alle diese Fotos von Vevey schon gemacht zu haben. 608 Gramm auf der Küchenwaage. Mehr ist da nicht. Mir empfohlen und ich darauf reingefallen. Drum möge gelten: Folgen Sie meiner Empfehlung nicht, und kaufen Sie das Papier. gk BAUER/GIGERENZER/KRÄMER/ SCHÜLLER Achtung! Grube. Aus der seit 2012 eröffneten «Unstatistik des Monats», vor Jahren gesammelt in einem Band aus dem Campus-Verlag (2016), ha- ben die Autoren ein neues Buch zusammen- gestellt und um weitere «Fälle» ergänzt, um auf die wichtigsten Fehler beim Erstellen, Darstellen und Deuten von Statistiken hin- zuweisen. Sie offerieren uns in Kapitel 1 eine Liste von fünf Grundprinzipien, die beim Wiedergeben von Statistiken oft vernachläs- sigt werden, mit Kapiteln zur Verwechslung von Korrelation und Kausalität, zu unseriö- sen Hochrechnungen und nicht repräsenta- tiven Umfragen. Kapitel 2 gilt der medialen Bewirtschaftung von Versprechungen und Bedrohungen, länger leben (weil 1 Stunde Joggen = 7 Stunden später sterben), ewig leben, früher sterben und warum Prognosen immer falsch sind. Kapitel 3 gilt dem Stand der Statistik-Bildung im Schulunterricht und in der Hochschulbildung und dem Thema «Wie wir uns selbst betrügen», Grenzwer- te niemals objektiv sind, Früherkennung falsch hoffen lässt und wovor wir unnötig Angst haben. Das Buch erreicht sein Ziel, auf die klassischen Fallgruben hinzuwei- sen. Dass die vier Autoren streckenweise auch «nebeneinander herschreiben», führt zu einer Redundanz. Ein strafferes Lektorat wäre möglich. Löblich ist das umfangreiche Quellenverzeichnis im Anhang zu den auf- geführten Beispielen. mk Lutz Jäncke: Von der Steinzeit ins Internet, Bern 2021, Hogrefe Verlag, 9783456 ISBN 861500, ca. CHF 33.00 Salomé Kiner & Claudia Link, Per fekte Tage Schweiz – Schweizer Städte auf InsiderWegen entdecken, Basel 2022, Verlag HEL VETIQ, ISBN 978 3907293645, ca. CHF 30.00 LEU 01/2023 Thomas K. Bauer/ Gerd Gigerenzer/ Walter Krämer/ Katharina Schüller: Grüne fahren SUV und Joggen macht unsterblich – Über Risiken und Neben wirkungen der Un statistik, Frankfurt a.M. 2022, Campus Verlag, ca. CHF 25.00 35