ZUM BUCHEN HAUG Lieber eine absurde als gar keine Erklärung Die Frau ist sich sicher: dieser Mann ist nicht ihr Mann, und die Tochter nicht ihre Tochter. Das sind andere, Doppelgänger, wahrscheinlich ausgetauscht von bösen Mächten. Die Frau greift zum Küchen- messer. Ein zweites Beispiel: Sicher ist sich auch der Mann, der aus ägyptischen Grabzeichnungen erkennen kann, dass er der «neue König» sei. Ein anderer Mann stört sich kein bisschen daran, dass nur er es kann: bei einer bestimmten Wetterlage in eine andere Welt hineinwandern. Was hat das schon mit ihm zu tun, dass alle ande- ren das nicht können und halt nur er? Und dann noch die Frau, sozusagen die Wir- tin von Trillionen kleiner Wesen in ihrem Körper, die ihr sagen, was sie zu tun hat und dann, wenn sie es tut, auch noch ihren Kommentar dazu abgeben. An diesen vier realen Beispielen aus seiner Praxis ge leitet uns Achim Haug auf Reisen in die Welt des Wahns. Der emeritierte Professor für Psychiatrie an der Universität Zürich war während vieler Jahre ärztlicher Direktor der Privatklinik Clienia-Schlössli in Oetwil. Die Feder Haugs erinnert an die von Oliver Sacks («Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte»). So schwer die Schick- sale sind, ebenso wie Sacks schreibt Haug leicht und unterhaltsam, ohne dass Schau- lustige auf ihre Kosten kommen könnten. Und ebenso wie Sacks sucht er hinter der psychischen Erkrankung das individuelle Schicksal und stellt – drittens und letztens – ebenso wie Sacks die eigene Normalität in Frage. Zumindest: «Jeder Mensch ist wahn- fähig.» Und keinesfalls sei es so, dass man einen Wahn habe oder nicht habe. Wie bei allen psychischen Störungen sei da nir- gendwo ein Schalter, der halt kippe oder nicht kippe, der Übergang zwischen krank oder gesund sei fliessend. Der Wahn sei auch selten eine eigenständige Krankheit, oft nur ein Symptom einer anderen Krank- heit, Schizophrenie, Demenz, Depression, Manien, Drogen- oder Alkoholsucht. Und gar bei körperlichen Krankheiten wie MS oder Parkinson kann er auftreten. Das Wesen des Wahns, so Haug, ist nicht sein Inhalt, nicht das Doppelgänger-Erkennen, 22 nicht das Ägyptischer-König-Sein, nicht die Trillionen Befehlserteiler etc., sondern das Beharrungsvermögen des Betroffenen, die Unzugänglichkeit für alles, was wir als rational der Wahnvorstellung entgegenhal- ten wollen. Das führt zum Sinn des Wahns, zum Wahnsinn sozusagen: er ist nämlich nützlich für mich, er gibt mir Halt. Dank ihm kann ich mir etwas erklären. Mir ist meine Erklärung, die andere für absurd halten, eine Hilfe. Lieber meine (angeblich) absurde Erklärung für etwas, als deine (an- geblich) rationale, die für mich nichts taugt. Der Mensch möge den Zweifel nicht, die Unsicherheit, den Zufall. Da sucht er nach Halt – und fände ihn übrigens, so Haug, auch durch simple Modelle und Konzepte, wie sie von Populisten auf den Markt ge- tragen werden. Bleibt die Frage: Was ist denn Wahn, was ist denn Wirklichkeit, wo genau geht es da so langsam über die Brü- cke? Ganz einfach: Erfahrung, Erziehung, Kultur prägen unser Weltbild. Teilen wir dieses Weltbild mit unserer Umgebung, gilt das als Realität, als Wirklichkeit. Der vom Wahn erfasste teilt diese nicht, er entfernt sich von der kulturell geteilten Wirklichkeit und baut sich seine private Auffassung von Wirklichkeit auf. Übrigens, Vorsicht! Das Buch enthält auch Übungsbeispiele, der eigenen Wirklichkeitsauffassung auf den Busch zu klopfen. gk Haug Achim: Reisen in die Welt des Wahns, Mün chen 2019, C. H. Beck. ISBN 9783 406727436 scheinbar erledigt, als hätt' er grad einen reinbekommen. Hat er aber nicht. Beim genauen Hinsehen ist klar, er hält den Ball unter sich fest. Lieber Eichborn-Verlag, was soll das? Aber auch wenn der Ball nicht unter Kahns Bauch zu liegen gekom- men wäre, selbst wenn er von den Maschen umgarnt worden wäre, gezählt hätte das Tor eh nicht. Der Schiri hätte Foul gepfif- fen, oder Abseits, oder Abseitsfoul. Und es stimmt, der Untertitel «Das FC Bayern Hass-Buch» mag die Auflage steigern, ist aber falsch. Hassen setzt eine Beziehung voraus – und bitte, wie willst du denn zu denen eine Beziehung haben? Die zu has- sen, zu viel der Würdigung. Verhöhnen? Ja klar. Oder, um ein verkrampftes Wortspiel halt doch nicht unterlassen zu können, halt verhoenessen. Nicht mal ihre Fans sind Fans: sie leiden nicht, sie weinen nicht. Ihre Fans sind Erfolg-Fans, Schickimicki-Fans, Luxus-Fans, risikoscheu, bequem. Ok, es muss ja nicht alles stimmen, was in dem Büchlein steht. Hauptsache, es ist wahr. Geiling und Müller, beide Sport-Journis, hatten eines Abends Durst, viel Durst, und Frust, viel Frust. Es war mal wieder Bay- ern-Dusel. Am anderen Tag, zwei Stunden nachdem die beiden beim Eichborn-Verlag angeklopft hatten, kam von dort die Rück- frage: «Bis wann könnt ihr liefern?» Das war vor knapp zwanzig Jahren. Und noch heute gehen die 144 Seiten beharrlich über den Tisch. Das ist aber auch kein Wunder, denn: «Der Grund war nicht die Ursache, sondern der Auslöser», meint – na wer wohl – Franz Beckenbauer. Niemand sonst bewegt sich so nonchalant im erkenntnis- theoretischen Urschlamm. gk GEILING/MÜLLER Lederhosen? Ja, ausziehen! Sofort! Zugegeben, das mit dem Umschlagfoto ist etwas dumm gelaufen. Man sieht da den Bayern-Goalie, sorry, Torwart, Oliver Kahn, auf dem Bauch am Boden liegen, / Torsten Geiling Niclas Müller: Zieht den Bayern die Lederhosen aus! Das FC Bay HassBuch, ern Frankfurt 2002, Eichborn. ISBN 3821836091 e r h a J ' 0 0 5 1 : e t t e W - l i r p A g n u s ö l f u A LEU 01/2020